Wozu das Ganze eigentlich? (ein kleiner „Rant“)

zuletzt aktualisiert am: 5. Juni 2021

Disclaimer: Es folgt ein kleiner „Rant“, der im Wesentlichen meine ganz persönliche Meinung darstellt. Ich veröffentliche diesen Artikel, weil ich es ein wenig leid bin, dass „der Datenschutz“ immer dann herhalten muss, wenn z.B. die Wirtschaft oder irgendwelche Verbände mal wieder einen Prügelknaben brauchen.

„Bleib mir fern mit dem Datenschutz!“

Datenschutzbeauftragte hören vermutlich täglich einen oder mehrere der folgenden Sätze so oder in abgewandelter Form (oder geht es nur mir so?):

  • „Datenschutz ist reiner Selbstzweck, behindert den Fortschritt und bremst die Digitalisierung aus.“ (vgl. hier)
  • „Datenschutz ist lästig. Die ganzen Cookie-Banner nerven einfach nur. Und kein Mensch liest die Datenschutzerklärung.“ (z.B. hier)
  • „Datenschutz ist Schuld daran, dass die Corona-App nicht wirkt. Gesundheit und Bevölkerungsschutz sind wichtiger als Datenschutz.“ (vgl. hier)
  • „Datenschutz darf nicht wichtiger sein als andere Grundrechte, z.B. das Recht auf Bildung: Sollen Schulen doch Zoom nutzen.“ (indirekt hier)
  • „Datenschutz ist teuer und kostet viel Zeit. Das sollten Unternehmen lieber in Kunden und Produkte investieren.“ (ungefähr hier)
  • Was soll das Gemecker über Datenschutz bei US-Konzernen? „Es ist doch bequem für mich, wenn sich facebook, google oder amazon ein Profil von mir erstellen… Dann bekomme ich genau das angezeigt, was ich möchte… außerdem hilft facebook bei der freien Meinungsäußerung“
  • Und überhaupt: „Ich habe doch nichts zu verbergen… Kann doch jeder wissen, was ich esse, wie viel Sport ich mache und wann ich eine Geburtstagsfeier plane… Das bringt mir Anerkennung.“ 
  • und nicht zu vergessen das gute alte: „Datenschutz ist Täterschutz.“

Ganz ehrlich: Bei neuen Bekanntschaften halte ich mich oft genug zurück, meinen eigenen Beruf zu benennen. (Das betretene Schweigen danach spricht Bände…) Und in Gesprächen mit Freunden meide ich gelegentlich gewisse Themen nur um des lieben Friedens willen… Aber eigentlich ärgert es mich, dass „die anderen“ nicht verstehen, dass ich mich als Datenschützer doch auch für deren Freiheiten einsetze. Haben „alle anderen“ denn gar kein Interesse an Freiheit und Selbstbestimmtheit?

Natürlich gibt es auf all die oben genannten Aussagen gute Gründe, das anders zu sehen.

Datenschutz bremst die Digitalisierung?

Äh.. nein. Wenn der Datenschutz von Anfang an mitgedacht wird (wie es die DSGVO mit dem Grundsatz „privacy by design“ vorsieht), dann kann das meiner Meinung nach die Digitalisierung sogar beschleunigen. Im Moment gibt es gegen viele Prozesse und Techniken (zu Recht) Bedenken, da sie intransparent sind und niemand weiß, wer davon wie profitiert bzw. welche Macht ausüben kann. Gestaltet man Digitalisierung datenschutzfreundlich, steigt auch die Akzeptanz.

Nehmen wir mal das Beispiel „digitale Patientenakte“ (ePa). So, wie es jetzt umgesetzt werden soll, hat Ihr hypothetischer Psychotherapeut den gleichen Zugriff auf Ihre Dokumente, wie Ihr Gynäkologe (falls Sie weiblichen Geschlechts sind) und umgekehrt. Klar stehen beide unter ärztlicher Schweigepflicht, aber auch andere Ärzte sind „Unbefugte“, wenn Sie nicht direkt an der Behandlung beteiligt sind. Mir ist nicht ganz klar, weshalb meine Zahnärztin wissen soll, ob ich beispielsweise Hühneraugen habe… Vom besonderen Schutz genetischer Daten will ich gar nicht erst anfangen… (Weshalb wurde gleich noch mal das Gendiagnostikgesetz erlassen?) Der Chef der Kassenärzte nannte die „ePa“ übrigens nicht zu Unrecht eine „digitale Aldi-Tüte“.

Lästige Cookie-Banner?

Stimmt schon irgendwie. Aber: Wer sich – wie ich – die Mühe macht, alles abzuwählen, stellt schnell fest, wie viele Informationen von einem an unzählige Dritte weitergeleitet werden. Machen Sie sich mal die Mühe und wählen Sie auch die „berechtigten Interessen“ der Unternehmen ab… Ich möchte eigentlich nicht, dass ich für so viele Unternehmen derart transparent bin.

Ziel der Cookie-Banner ist es, Ihnen Ihre Autonomie zurück zu geben. Ob Sie dies nutzen, ist Ihnen überlassen.

Corona-App wäre ohne Datenschutz viel wirksamer?

Die Beispiele, die in diesem Zusammenhang genannt werden, sind oft genug totalitäre Systeme. Da zählt nur die Gemeinschaft. Aber davon mal abgesehen: Es ist nicht der Datenschutz, der das Problem ist. Es gibt bereits genügend Artikel, die der obigen Aussage widersprechen (z.B. hier). Letztlich ist die absolute Anonymität für mich ein guter Grund, weshalb jeder die Infos guten Gewissens teilen kann. Vielleicht können es einige ja nur deshalb nicht, weil das Labor nicht an die APP angebunden ist? (vgl. hier)

Ein Grundrecht gegen ein anderes aufwiegen?

Es geht gar nicht darum, dass ein Grundrecht wichtiger sei als ein anderes. Datenschutz ist kein Gegenspieler, sondern die Grundlage, die andere Rechte ermöglicht, bestärkt und schützt. Das Recht auf Bildung ist wichtig. Dennoch ist es auch der Schutz unserer Kinder. Wir Erwachsene sind einerseits Vorbild, andererseits die Beschützer der Rechte unserer Kinder. Wenn nicht wir darauf achten, dass die Daten unserer Kinder nicht überall von Wirtschaftsunternehmen genutzt werden, wer dann?

Gesundheit ist wichtig, aber Gesundheitsdatenschutz ist nicht neu. Gesundheitsdaten waren schon seit dem Hippokratischen Eid schutzbedürftige Informationen. Wieso gehen wir plötzlich so unbedarft damit um?

Und seien wir doch mal ehrlich: Alles, was jetzt „unter Corona-Bedingungen“ durchgewinkt wird, das bleibt. Rechtlich gibt es in Sachen Datenschutz keinen Unterschied zwischen Corona-Krisenzeit und Nicht-Corona-Krisenzeit. Warum sollten wir also die Lockerungen später zurückschrauben – ist ja „lästig“….

Übrigens: Zum Thema „Pandemie und das Bürgerrecht auf Datenschutz“ hat unser Landesdatenschutzbeauftragter aus BaWü einen sehr hörenswerten Vortrag gehalten.

Datenschutz ist teuer?

Ja. Ich erinnere mich an das Jahr 2018 als sich die armen großen Wirtschaftsunternehmen beim Wirtschaftsministerium versammelten und jammerten, wie böse die DSGVO sei. Warum? Weil man plötzlich (und völlig überraschend) Erlaubnistatbestände finden musste, weshalb man Daten erheben dürfe – am besten ohne den Verbraucher um Erlaubnis zu fragen… Okay, zugegeben: Die Dokumentation ist deutlich umfangreicher. Das stimmt. Aber zu argumentieren, die Zeit und das Geld wären andernorts besser investiert, geht meiner Meinung nach daneben. Datenschutz ist ja eben gerade im Interesse der Kunden. Genau deshalb sollte man investieren. Das schafft echtes Vertrauen durch Transparenz. Und was Datenschutzverstöße kosten, wissen spätestens seit H&M mittlerweile auch alle…

Gerade bei kleinen Unternehmen, bei der es keine Pflicht zur Bestellung eines DSB gibt, kann es kompliziert sein – schlicht, weil die Expertise fehlt. Bei kleineren Unternehmen unterstützen jedoch gern auch die Landesdatenschutzbeauftragten: Es gibt für Vereine und Handwerker zahlreiche praxisnahe Orientierungshilfen.

Bequemlichkeit beim Shopping?

Stimmt. Es ist bequem, wenn amazon mir tolle Vorschläge macht. Aber bekomme ich wirklich das angezeigt, was ich möchte? Oder hat nicht vielmehr amazon anhand meiner früheren Einkäufe (oder schlimmer noch anhand von Suchanfragen über Alexa) ein Profil von mir erstellt und präsentiert mir Dinge, die vergleichbare Personengruppen gekauft haben, um mich zum Kauf zu überreden? Denn das ist amazons eigentliches Ziel: Verkaufen. (Ist ja auch ein Wirtschaftsunternehmen, logisch.)

Übrigens ist auch das Konzept hinter payback genau dasselbe… Kunden möglichst differenziert analysieren, in Gruppen einteilen (#profiling) und denen dann zielgruppengerechte Angebote machen – je genauer das Profil desto besser der Return on Invest für das werbende Unternehmen…

So kaufe ich Dinge, die ich eigentlich nicht brauche und die mich höchstwahrscheinlich auch nicht glücklicher machen… Aber unser Konsumverhalten ist ein anderes Thema….

Und nebenbei: Freie Meinung mit Facebook?

Wie bilden Sie sich Ihre Meinung? In der Theorie hört man sich verschiedenen Argumente an und schließt sich dann den Argumenten an, denen man am besten folgen kann. Dass facebook oder youtube jedoch kein breites Meinungsbild ermöglichen, weil der Algorithmus von vornherein nur diejenigen Beiträge zeigt, die meinen Ansichten ohnehin schon nahe liegen, wissen wir auch mittlerweile alle. (Dazu hier ein toller Artikel.) Wenn man dann noch überlegt, dass sich Empörung schneller verbreitet als sachliche Information, erhält man schnell ein explosives Pulverfass. (vgl. netzpolitik.org) Für mich persönlich heißt das Verzicht. Aber das ist nicht für jeden denkbar. Immerhin isolieren wir uns dadurch ein wenig…(Und die Likes geben uns doch so ein gutes Gefühl…)

Datenschutz ist Täterschutz?

An dieser Stelle verweise ich auf einen wundervollen Artikel bei Dr. Datenschutz. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

An der Stelle erst mal eine kurze Pause zum Luft-Holen.

Sie sehen: Es gibt gute Gründe, den Datenschutz positiv zu sehen. Aber den Argumenten ganz oben mit den eben angeführten Gegenargumenten zu begegnen, ist meist mühsam. Oft genug lautet die Antwort:

„Ja, kann ja vielleicht sein, aber soll ich denn machen?“

Und genau hier liegt das Problem. Natürlich haben die oben genannten „anderen“ ein Interesse an Freiheit, aber sich die zu erkämpfen ist anstrengend. Die Macht der Internetgiganten ist groß – egal ob Microsoft, Google, Amazon, Apple, facebook oder wie sie alle heißen… Ihre Produkte werden weltweit genutzt. Teilweise sind sie (vermeintlich) kostenlos und erleichtern die Arbeit, teilweise geben sie uns einfach nur ein gutes Gefühl. Auf jeden Fall aber gehören Sie zu unserem Alltag. Es gibt gute Gründe für die Nutzung – und sei es nur, dass vernünftige Alternativen fehlen. (Auch ich nutze die Microsoft Office Produkte und nutze das Telefon mit dem angebissenen Obst…)

Für mich ist das ein Stück weit wie beim Klimawandel. Stimmt: Einer alleine kann nichts tun. Aber jeder Einzelne kann Stück für Stück einen kleinen Beitrag leisten.

  • Vielleicht investiere ich beim nächsten Online-Shopping etwas mehr Zeit für die Suche und kaufe bewusst nicht bei amazon? Möglicherweise gibt es ja sogar einen lokalen Händler?
  • Unter Umständen wechsle ich den Messenger-Dienst?
  • Oder vielleicht mache ich mir auch mehr und mehr bewusst, was ich poste, was ich like und was ich teile…

Und ansonsten könnte jeder Einzelne vielleicht ein bisschen weniger auf dem Datenschutz herumhacken und ein bisschen mehr anerkennen, weshalb Datenschützer so hartnäckig sind und tun, was sie eben tun.

Noch ein paar Gedanken zum Schluss

  • Nehmen Sie Ihre Chefin mit zur ausgelassenen Party, bei der es so richtig kracht? Vermutlich nicht. Dennoch kann sie Sie vielleicht genau so über social media erleben.
  • Erzählen Sie jedem Fremden von privaten Gesprächen in Ihrem Schlafzimmer? Dennoch hört Alexa (und manch ein amazon-Mitarbeiter zur Qualitätsverbesserung?) mit.
  • Was wäre, wenn in Zukunft Ihre Krankenkasse Zuzahlungen zum Zahnersatz verweigert, weil Ihre Zahnbürste genau protokolliert hat, wann und wie oft sie Zähne geputzt haben? (Ja, es gibt Zahnbürsten mit Internetverbindung)

Und genau hier sind wir bei meiner Eingangsfrage:

Warum das Ganze?

Je mehr Daten über Sie vorliegen, umso mehr Macht haben Konzerne oder auch Staaten über Sie. Wenn Sie befürchten müssen, dass gelegentliches Fehlverhalten zu negativen Konsequenzen führt, passen Sie Ihr Verhalten an. Das mag zunächst positiv für die Allgemeinheit klingen, widerspricht aber unserer Vorstellung von Freiheit und Selbstbestimmung. (Ein herzliches Ni Hao nach China.) Sind wir wirklich bereit auf unsere Grundrechte und Grundwerte zu verzichten?

  • Art. 2 GG: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, …“,
  • Art. 7 der Europäischen Grundrechtecharta: „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation“ und
  • Art. 8 der Europäischen Grundrechtecharta: „Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenenDaten

Datenschützer sorgen jeden Tag dafür, dass europäische Unternehmen sich an die Spielregeln halten. Und die Aufsichtsbehörden strafen mit Bußgeldern diejenigen, die das nicht tun…

Eines noch: Ich hatte das Glück im Februar 2021 an einer wundervollen Veranstaltung des LfDI BW teilnehmen zu können. „Was bedeutet Freiheit in einer digitalen Gesellschaft“. Was das mit Datenschutz zu tun hat? Ne ganze Menge, denn erst der Datenschutz ermöglicht Freiheit und selbstbestimmtes Handeln. Ich hoffe, dass unser Landesdatenschutzbeauftragter noch viel mehr solcher Informations- und Sensibilisierungsveranstaltungen anbietet – am besten auch für Kinder. Wenn Sie die Möglichkeit haben, an einer Folgeveranstaltung teilzunehmen, nutzten Sie sie. Es lohnt sich!

Bildquellen

  • social-1206614_1920: Pixabay - ijmaki